2023/07/28 Andreas Jungherr

Einschätzung: Kooperation zwischen Meta und ausgewählten US-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

Was ist von der neuen Forschungskooperation zwischen Meta und ausgewählten US-Wissenschaftlerinnen zu halten? Zu dieser Frage habe ich dem Science Media Center Germany eine Einschätzung gegeben:

Frage: Wie beurteilen Sie die Studie methodisch? Sind die Schlüsse, die die Autorinnen und Autoren ziehen, gerechtfertigt?

Antwort: Die vorliegenden Studien zeigen ausgewählte Effekte von zwei spezifischen Charakteristiken von Facebook und Instagram, dem algorithmisch selektierten Newsfeed und von anderen Nutzern geteilten Inhalten, und beschreiben Muster in der Nutzung der Nachrichtennutzung von politisch aktiven Nutzerinnen und Nutzer im US-Präsidentschaftswahlkampf 2020.

Die vorgestellten Befunde sind interessant, nicht zuletzt, da es für die Wissenschaft sehr schwierig ist, die Effekt der Nutzung digitaler Plattformen zu identifizieren. Dennoch bleibt festzustellen, dass die hier vorgestellten Ergebnisse sehr begrenzt sind und relativ wenig zu den eigentlichen Fragen zur Rolle digitaler Plattformen in der politischen Kommunikation beitragen.

Zum Beispiel, in der ersten Studie testen die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Wirkungen des algorithmisch sortierten Newsfeeds und eines chronologisch sortierten Newsfeeds experimentell. Zu ihrer eigenen Überraschung stellen sie keine oder nur begrenzte Effekte auf politische Einstellungen fest. Dies ist erst einmal interessant, hilft uns aber wenig bei der Einschätzung der Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen.

Zwei entscheidende Einschränkungen der Studie gilt es bei der Einordnung der Befunde zu bedenken:

  • Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler behandeln den Facebook und Instagram Algorithmus als Black Box in dessen Funktionsweise sie keinen Einblick haben. Sie testen nur, ob die 2020 implementierte Version des Algorithmus andere Effekte hatte als ein chronologisch sortiertes Feed. Das ist sicherlich interessant, führt aber dazu, dass diese Ergebnisse nur für diese spezifische Implementation des Algorithmus gelten. Der Newsfeed Algorithmus unterliegt stetigen Änderungen, die von außen nicht beobachtbar sind. Wir wissen also nicht, nach welchen Regeln Meta Inhalte zur Anzeige auswählt, welchen Effekt einzelne dieser Regeln haben und ob es zwischen Wahlen wichtige Änderungen gab. Viele der Vorbehalte gegenüber der politischen Rolle von Facebook und Instagram stammen aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 und anderen internationalen Wahlen (wie zum Beispiel Brasilien). Die vorliegenden Studien können uns hierzu nichts sagen. Auf der Basis dieser Befunde sollte man also nicht generell über die Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen schließen.
  • Die Autorinnen und Autoren untersuchen die Effekte auf Einstellungen über alle Nutzerinnen und Nutzer in ihrem Sample. Hier stellen sie überwiegend keine Effekte auf politische Einstellungen fest. Das ist interessant. Aber die aktuelle Forschung zur Rolle von Facebook oder Instagram im Kontext politischer Radikalisierung oder Falschinformationen geht ohnehin nicht von gesamtgesellschaftlichen Effekten aus, sondern von Effekten auf Kleingruppen, die entweder psychologisch, ideologisch oder strukturell besonders anfällig für Botschaften oder Inhalte sind, die ihnen auf digitalen Plattformen eventuell algorithmisch verstärkt angezeigt werden. Hierzu können die vorliegenden Studien nicht sprechen und unternehmen sogar überraschender Weise gar keinen Versuch an dieser Diskussion anzuknüpfen. Vor diesem Hintergrund wäre die Lesart der Studie als „Facebook verursacht keine politische Polarisierung“ zumindest verkürzt, wenn nicht sogar irreführend.
  • Die Ergebnisse dieser Studie sind interessant. Allerdings führt das gewählte Untersuchungsdesign dazu, dass wir diese Befunde nicht über diesen einen spezifischen Fall hinaus generalisieren können. Über die Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen in anderen Ländern oder auch anderen Wahlkämpfen in den USA, können wir auf Basis dieser Befunde nichts sagen.

    Dies ist wichtig zu beachten, da die vorliegende nStudien allein durch die Größe der verwendeten Datensätze, dem Einfluss des Teams der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, als auch dem Einfluss der Marketing-Abteilung von Meta viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden. Vielleicht mehr Aufmerksamkeit, als allein durch die Kraft der Befunde erklärbar wäre.

    Wie kann man nach dieser Studie die Hypothese betrachten, dass Facebooks algorithmisch kuratierter Feed zu mehr Polarisierung führt? Haben Änderungen am Feed in letzter Zeit in der Hinsicht auch Dinge „verbessert“, inwiefern war das Problem früher schlimmer?

    Wie oben bereits diskutiert sind die Befunde der Studie nicht über den spezifischen Fall hinaus generalisierbar. Wir können sicherlich wie die Autorinnen und Autoren sagen, dass auf Basis dieser Befunde keine Polarisierung in der Breite der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie feststellbar war. Darüber hinaus wird es dünn.

  • Da die Teilnahme an dem Experiment eine aktive Einverständniserklärung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern voraussetzt, können wir die Befunde nicht einfach auf alle Nutzerinnen und Nutzer generalisieren. Häufig steigen bei solchen Erklärungen Menschen aus, die entweder politisch eher extrem verortet sind oder große Skepsis gegenüber der Politik oder Wissenschaft haben. Gerade aber auf diese Bevölkerungsgruppen könnten algorithmisch sortierte Feeds einen höheren Einfluss haben als auf andere.
  • Wie bereits oben skizziert, geht die aktuelle Forschung von heterogenen Effekten auf unterschiedliche Gruppen aus. Hier wird vermutet, dass algorithmisch kuratierte Informationsumgebungen auf spezifische, besonders anfällige Gruppen Effekte entwickeln. Da die Studien nur durchschnittliche Effekte über alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausweisen, können die Befunde zu diesen Diskussionen nicht sprechen.
  • Darüber hinaus können die Studien auch nicht über die Wirkung von Facebook oder Instagram in anderen Wahlkämpfen sprechen. Die Autorinnen und Autoren behandeln den Newsfeed Algorithmus als Black-Box. Entsprechend bleibt dessen Mechanik im Dunkeln. Zur Einschätzung der Generalisierbarkeit der Ergebnisse über den Fall US-Präsidentschaftswahl 2020 hinaus, müssten wir jedoch wissen, ob und wie die Funktion des Algorithmus sich 2020 von der 2016 oder der in 2024 oder der Funktion in anderen Ländern unterscheidet. Ohne diese Informationen bleiben die Befunde interessant, sind aber über den untersuchten Fall hinaus nicht generalisierbar.
  • Zusätzlich gibt es kulturelle und strukturelle Variation in der Nutzung von Facebook und Instagram zwischen Ländern und Mediensystemen. Es kann also durchaus sein, dass Facebook und Instagram in den USA andere Effekte mit sich bringen als z.B. in Deutschland oder Brasilien. Dies schränkt die Generalisierbarkeit der Befunde weiter ein.
  • Insgesamt machen mich diese Einschränkungen der Studien gegenüber generellen Interpretationen der Art „Facebook führt nicht zu Polarisierung“ sehr skeptisch.

    Wie beurteilen Sie die Kooperation zwischen Meta und den Forschungsteams? Wie sinnvoll ist dieser Ansatz, was könnte verbessert werden?

    Die Forschung zu den Mustern und Effekten digitaler Kommunikationsumgebungen ist sehr schwierig. Häufig bleibt Forscherinnen und Forscher der Zugang zu den am stärksten genutzten Plattformen, wie Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube verwehrt. Vor diesem Hintergrund ist die hier vorliegende Kooperation zwischen dem Forschungsteam und Meta interessant und verspricht anders nicht gewinnbarer Einsichten. Gleichzeitig zeigt der begleitende Artikel von Michael W. Wagner klar die Grenzen und Risiken solcher Industrie-Wissenschaftskooperationen.

    In diesem Fall scheint Meta Einfluss auf die Zusammensetzung des Forschungsteams und der zu untersuchenden Fragen gehabt zu haben. Dies schränkt natürlich die Unabhängigkeit der so entstandenen Forschungsergebnisse ein. Eine entsprechend strukturierte Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie in einem anderen Bereich, zum Beispiel Pharma oder Tabak, würde man wohl aus gutem Grund für eher problematisch halten.

    Dies ist besonders bedenklich, da die vorliegenden Studien durch ihren Publikationsort, die verwendeten Datenmengen, den Einfluss der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Metas Marketingabteilung große rhetorische Kraft haben und mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig als Schlüsselwerke in Öffentlichkeit, Forschung und gegenüber Politik und Regulatoren behandelt werden. Es steht zu erwarten, dass die Grenzen der Generalisierbarkeit der Arbeiten dabei keine allzu große Beachtung finden. Stattdessen kann man erwarten, dass die hier präsentierten klar kontext-abhängigen Befunde als Beleg für die allgemeine Unbedenklichkeit von Facebooks und Instagrams Rolle in Wahlkämpfen genutzt werden.

    Die hier vorliegende Kooperation macht also sowohl die Potentiale als auch die Risiken von Industrie-Wissenschaftskooperationen deutlich. Hier gilt es für die Wissenschaft zeitnah Regeln für die Zusammenarbeit mit der Tech-Industrie zu entwickeln. Potentiale der Zusammenarbeit sollten genutzt werden. Gleichzeitig gilt es aber zu verhindern, dass Firmen Forschungsagenden prägen und kooperierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als ausgelagerten Arm ihrer PR-Abteilung nutzen können.

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