Was ist von der neuen Forschungskooperation zwischen Meta und ausgewählten US-Wissenschaftlerinnen zu halten? Zu dieser Frage habe ich dem Science Media Center Germany eine Einschätzung gegeben:
Frage: Wie beurteilen Sie die Studie methodisch? Sind die Schlüsse, die die Autorinnen und Autoren ziehen, gerechtfertigt?
Antwort: Die vorliegenden Studien zeigen ausgewählte Effekte von zwei spezifischen Charakteristiken von Facebook und Instagram, dem algorithmisch selektierten Newsfeed und von anderen Nutzern geteilten Inhalten, und beschreiben Muster in der Nutzung der Nachrichtennutzung von politisch aktiven Nutzerinnen und Nutzer im US-Präsidentschaftswahlkampf 2020.
Die vorgestellten Befunde sind interessant, nicht zuletzt, da es für die Wissenschaft sehr schwierig ist, die Effekt der Nutzung digitaler Plattformen zu identifizieren. Dennoch bleibt festzustellen, dass die hier vorgestellten Ergebnisse sehr begrenzt sind und relativ wenig zu den eigentlichen Fragen zur Rolle digitaler Plattformen in der politischen Kommunikation beitragen.
Zum Beispiel, in der ersten Studie testen die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Wirkungen des algorithmisch sortierten Newsfeeds und eines chronologisch sortierten Newsfeeds experimentell. Zu ihrer eigenen Überraschung stellen sie keine oder nur begrenzte Effekte auf politische Einstellungen fest. Dies ist erst einmal interessant, hilft uns aber wenig bei der Einschätzung der Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen.
Zwei entscheidende Einschränkungen der Studie gilt es bei der Einordnung der Befunde zu bedenken:
Die Ergebnisse dieser Studie sind interessant. Allerdings führt das gewählte Untersuchungsdesign dazu, dass wir diese Befunde nicht über diesen einen spezifischen Fall hinaus generalisieren können. Über die Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen in anderen Ländern oder auch anderen Wahlkämpfen in den USA, können wir auf Basis dieser Befunde nichts sagen.
Dies ist wichtig zu beachten, da die vorliegende nStudien allein durch die Größe der verwendeten Datensätze, dem Einfluss des Teams der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, als auch dem Einfluss der Marketing-Abteilung von Meta viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden. Vielleicht mehr Aufmerksamkeit, als allein durch die Kraft der Befunde erklärbar wäre.
Wie kann man nach dieser Studie die Hypothese betrachten, dass Facebooks algorithmisch kuratierter Feed zu mehr Polarisierung führt? Haben Änderungen am Feed in letzter Zeit in der Hinsicht auch Dinge „verbessert“, inwiefern war das Problem früher schlimmer?
Wie oben bereits diskutiert sind die Befunde der Studie nicht über den spezifischen Fall hinaus generalisierbar. Wir können sicherlich wie die Autorinnen und Autoren sagen, dass auf Basis dieser Befunde keine Polarisierung in der Breite der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie feststellbar war. Darüber hinaus wird es dünn.
Insgesamt machen mich diese Einschränkungen der Studien gegenüber generellen Interpretationen der Art „Facebook führt nicht zu Polarisierung“ sehr skeptisch.
Wie beurteilen Sie die Kooperation zwischen Meta und den Forschungsteams? Wie sinnvoll ist dieser Ansatz, was könnte verbessert werden?
Die Forschung zu den Mustern und Effekten digitaler Kommunikationsumgebungen ist sehr schwierig. Häufig bleibt Forscherinnen und Forscher der Zugang zu den am stärksten genutzten Plattformen, wie Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube verwehrt. Vor diesem Hintergrund ist die hier vorliegende Kooperation zwischen dem Forschungsteam und Meta interessant und verspricht anders nicht gewinnbarer Einsichten. Gleichzeitig zeigt der begleitende Artikel von Michael W. Wagner klar die Grenzen und Risiken solcher Industrie-Wissenschaftskooperationen.
In diesem Fall scheint Meta Einfluss auf die Zusammensetzung des Forschungsteams und der zu untersuchenden Fragen gehabt zu haben. Dies schränkt natürlich die Unabhängigkeit der so entstandenen Forschungsergebnisse ein. Eine entsprechend strukturierte Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie in einem anderen Bereich, zum Beispiel Pharma oder Tabak, würde man wohl aus gutem Grund für eher problematisch halten.
Dies ist besonders bedenklich, da die vorliegenden Studien durch ihren Publikationsort, die verwendeten Datenmengen, den Einfluss der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Metas Marketingabteilung große rhetorische Kraft haben und mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig als Schlüsselwerke in Öffentlichkeit, Forschung und gegenüber Politik und Regulatoren behandelt werden. Es steht zu erwarten, dass die Grenzen der Generalisierbarkeit der Arbeiten dabei keine allzu große Beachtung finden. Stattdessen kann man erwarten, dass die hier präsentierten klar kontext-abhängigen Befunde als Beleg für die allgemeine Unbedenklichkeit von Facebooks und Instagrams Rolle in Wahlkämpfen genutzt werden.
Die hier vorliegende Kooperation macht also sowohl die Potentiale als auch die Risiken von Industrie-Wissenschaftskooperationen deutlich. Hier gilt es für die Wissenschaft zeitnah Regeln für die Zusammenarbeit mit der Tech-Industrie zu entwickeln. Potentiale der Zusammenarbeit sollten genutzt werden. Gleichzeitig gilt es aber zu verhindern, dass Firmen Forschungsagenden prägen und kooperierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als ausgelagerten Arm ihrer PR-Abteilung nutzen können.