Jasmin Riedl und Wiebke Drews haben mich eingeladen, für ihren Sparta-Blog zum Bundestagswahlkampf etwas zur Rolle von Twitter im Bundestagswahlkampf zu schreiben. Anbei meine Notizen:
Plötzlich trenden die Namen von Parteien, Politikerinnen und Politikern auf Twitter. Plötzlich schwemmen Reaktionen auf Fernsehduelle und -trielle oder im Internet gestreamter „Duelle der Herzen“ Twitter. Gleichzeitig erleben und ertragen wir überbordend enthusiastische oder enttäuschte Beiträge in unseren Timelines. Es muss wieder Wahlkampf in Deutschland sein. Kein Wahlkampf ohne Twitter-Begleitung. Aber warum eigentlich? Was können die 280 Zeichen langen Textschnipsel zum Wahlsieg beitragen?
Ein Tweet mag eine Wahl nicht entscheiden. Dennoch kann Twitter geschickt genutzt einen Beitrag zum Erfolg oder Misserfolg von Politikerinnen und Politikern leisten. Hier sind vor allem drei Funktionen des Microblogging-Dienstes im Wahlkampf wichtig:
Erstens erlaubt Twitter Politikerinnen und Politikern, gezielt Botschaften an die Öffentlichkeit zu senden. Twitter erlaubt schillernden, unkonventionellen oder auch extremen Politikerinnen und Politikern, ihre Botschaften an den Auswahl- und Kontrollmechanismen der traditionellen Nachrichtenmedien vorbei zu veröffentlichen. Ein Beispiel hierfür ist der ehemalige US-Präsidenten Donald Trump. Ihm gelang es über kontroverse Beiträge auf Twitter, auch die Nachrichtenberichterstattung traditioneller Medien zu beeinflussen. Dadurch erreichte er mit seinen Botschaften ein deutlich größeres Publikum als die Zahl seiner Follower auf Twitter. Geschickt genutzt erlaubt Twitter also, Einfluss auf die Medien-Agenda insgesamt auszuüben.
Zweitens bietet Twitter eine Bühne, um sich und die eigene Politik darzustellen. Das ist aber ein Balanceakt. In Ausgleich gebracht werden müssen die verspielten und die Kontroverse umarmenden Nutzungskonventionen der digitalen Plattform mit den Ansprüchen an Seriosität, denen die Kandidierenden sich gegenüber sehen. Häufig gelingt das nicht. Wenn es aber gelingt haben Politikerinnen und Politiker die Chance, als nahbare und authentische Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner wahrgenommen zu werden.
Drittens wird der Microblogging-Dienst häufig als Quelle für politische Stimmungsbilder genutzt. Parteien und Kandidierende testen mit Tweets die Reaktionen auf Meinungen oder Initiativen. Gleichzeitig bietet Twitter auch einen schnellen Überblick darüber, was Nutzerinnen und Nutzer zu ausgewählten Themen, politischen Episoden oder Personen zu sagen haben. Damit macht Twitter die Öffentlichkeit – oder zumindest die Twitter-Öffentlichkeit – sichtbar für politische Akteure. Dies ist verführerisch leicht, kann aber auch fehlleitend sein. Denn Twitter ist nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Das heißt, die Zusammensetzung der Nutzerinnen und Nutzern weicht in entscheiden Punkten von der Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung ab. Nutzt man also Twitter zur Erstellung von Meinungsbildern, läuft man Gefahr, ein verzerrtes Bild von öffentlicher Meinung oder politischen Machtverhältnissen zu erhalten.
Für Politikerinnen und Politiker sowie für Parteiorganisationen kann sich die informierte Nutzung des Microblogging-Dienstes also lohnen. Aber für den politischen Erfolg muss die Nutzung Teil einer zugrundeliegenden politischen Strategie sein. Sie darf weder beliebig noch zufällig sein.
Andreas Jungherr. 2021. Twitter im Wahlkampf. Sparta Blog. (2/9/2021).