In der aktuellen Ausgabe des Fachbereichsnewsletter Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universität Konstanz wurden mein Kollege Karsten Donnay und ich zu unserem Start in Konstanz, Computational Social Science und der Lehre interviewt. Den kompletten Newsletter gibt es hier.
Interview mit den Juniorprofessoren Karsten Donnay und Andreas Jungherr
Die Juniorprofessoren Karsten Donnay und Andreas Jungherr verstärken den bereits etablierten Methodenbereich am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft. Im Interview sprechen sie über das perfekte Timing des aufkommenden Big Data-Zeitalters, das mögliche Ende der Twitterforschung und wie man keine schlechteren Informatiker, sondern bessere Sozialwissenschaftler ausbildet.
Erst einmal vielen Dank, dass Sie für dieses gemeinsame Interview Zeit gefunden haben. Mich interessiert, was Sie bisher gemacht haben und wie Sie nach Konstanz gekommen sind.
Jungherr: Tatsächlich habe ich ein Semester in Konstanz studiert, damals allerdings am Fachbereich Englisch und Geschichte. Danach hat es mich zur Politikwissenschaft nach Mainz verschlagen und schließlich bin ich zur politikwissenschaftlichen Promotion nach Bamberg. Nach meiner Arbeit am Mannheimer Lehrstuhl für Politische Psychologie bin ich nun wieder am See gelandet. Mein Fokus war schon immer politische Kommunikation, mit und über digitale Technologien und digitale Dienste. Zunehmend kam nun auch die Frage dazu, wie man Daten, die im Umgang mit digitalen Diensten entstehen, in der Sozialwissenschaft sinnvoll verwenden kann. Ich freue mich nun diese Themengebiete am Fachbereich weiter zu vertiefen.
Donnay: Ich bin ganz ursprünglich Naturwissenschaftler, habe an der TU München Physik mit dem Nebenfach Mathematik studiert und schließlich mein Diplom in Physik gemacht. Danach habe ich an der ETH Zürich am Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Modellierung und Simulation, promoviert, welcher seit einiger Zeit den zeitgemäßeren Namen Computational Social Science trägt. Meine fachlichen Interessen lagen dabei immer stark in der Politikwissenschaft, insbesondere in der Konfliktforschung. In meiner Doktorarbeit habe ich an der Schnittstelle zwischen quantitativen Methoden und Forschungsfragen zu innerstaatlichen Konflikten gearbeitet. Im Anschluss war ich als Postdoc zwei Jahre am Graduate Institute in Genf und habe dort an der politikwissenschaftlichen Fakultät gearbeitet. Im letzten Jahr war ich dabei auch noch als Postdoc bei START (University of Maryland) tätig. Und nun habe ich seit einigen Monaten meine Stelle hier, wieder im Bereich Computational Social Science.
Daran sieht man ja sehr gut, wie interdisziplinär dieses Fachgebiet angegangen wird. Wann genau hat Sie selbst denn die Leidenschaft für Daten gepackt?
(… beide lachen)
Jungherr: Ich glaube, ich bin da eher hineingestolpert. Tatsächlich war bei mir ein Auslöser William Gibsons Pattern Recognition, ein Roman von 2003, in dem die immer stärkere Fragmentierung von Daten und Inhalten im Kontext der Digitalisierung thematisiert wurde. Das weckte mein Interesse an der Erforschung der damit verbundenen Veränderungen. Das kam genau richtig, da ich mich damals in der etablierten Politikwissenschaft nicht richtig heimisch fühlte. Aber der Roman und Neal Stephensons Baroque Cycle haben mich dann doch in die quantitativ-empirische Wissenschaft gezogen. Twitter kam gerade passend zu Beginn meiner Dissertation auf und die Beschäftigung damit hat mich zu meinem aktuellen Forschungsinteresse, dem produktiven Umgang mit digitalen Spurendaten, geführt.
Donnay: Da ich ursprünglich mit Physik angefangen habe, war die Identifikation mit Zahlen und Daten bei mir schon immer sehr hoch und in einem naturwissenschaftlichen Grundstudium lernt man auch einige Grundlagen der Erkenntnistheorie. Mein Interesse geht einher mit den Ausführungen von Andreas, folglich wie man ursprüngliche Strukturen und Muster erkennt, in der Natur sowie im gesellschaftlichen Rahmen. Im Zweifelsfall ist die Gesellschaft als System einfach noch viel komplexer. Schon im Physikstudium war ich von komplexen Systemen begeistert und neben meinem Studium habe ich auch schon mit sozialwissenschaftlichen Inhalten gearbeitet. Da ist die Erkenntnis gereift, dass ich in diesem Bereich arbeiten möchte. Bewusst habe ich dann während und nach dem Physikstudium den Absprung in die Sozialwissenschaften geplant. In unserer aktuellen Forschung müssen wir vor allem lernen, mit neuen Daten korrekt umzugehen. Sozialwissenschaftliche Datenmengen sind über die letzten fünf Jahre explodiert und es gilt das Extra an Information, das in diesen Daten steckt und das wir vorher nicht hatten, zu untersuchen und damit sinnvoll Sozialwissenschaft zu machen. Ungemein spannend, aber auch irgendwie häufig noch terra nulla (lachen). Die Größenordnungssprünge der technischen Voraussetzungen und die steigende Relevanz der Daten kamen zu einem für mich sehr passenden Zeitpunkt.
Jungherr: Ich denke das, was du jetzt ansprichst, ist ein ganz wichtiger Punkt für genau unsere Generation. Wir sehen hier, wie ein Interesse, das einen noch vor einigen Jahren zum exotischen Außenseiter gemacht hat, plötzlich ein unglaubliches Momentum in der Gesellschaft und damit auch in der Wissenschaft bekommt. Wurde man früher noch gefragt, ob man nicht doch lieber etwas Richtiges machen wolle, sind plötzlich genau die exotischen methodischen Fähigkeiten und inhaltlichen Beiträge sehr gefragt. Das ist natürlich ein unglaublicher Glücksfall für uns und überhaupt nicht planbar. Gerade dadurch bleibt die Arbeit aber auch sehr spannend. Gerade was du mit dem technischen catch up Spiel des Wandels angesprochen hast, sagt auch aus, dass die Methodenentwicklung zurzeit an einem ganz spannenden Punkt angelangt ist. Wir müssen uns Fragen stellen wie “Wie bilde ich Leute in Programmiersprachen aus, die unter Umständen in drei Jahren obsolet sind, oder deren Datenquellen es schlicht nicht mehr gibt? Und wie schaffe ich es dennoch im wissenschaftlichen Publikationszyklus Dinge zu bearbeiten, die nicht nur jetzt, sondern auch zukünftig relevant sind? Wie können wir noch etwas Substanzielles sagen?”. Das macht das Feld so spannend und dynamisch und fordert einen in Lehre und Forschung kontinuierlich. Dabei stehen wir alle noch ganz am Anfang und müssen unterschiedliche Ansätze und Vorgehensweisen ausprobieren.
Donnay: Am spannendsten ist es dabei, sich sehr relevante Fragestellungen herauszusuchen, die schon lange bestehen, und diese mit neuen Methoden aufzuarbeiten. Dann dauert die Relevanz an, aber man hat auch die neuen technischen Möglichkeiten aufgezeigt, die idealerweise zu einem echten Erkenntnisgewinn führen.
Also bestimmt der schnelllebige Wandel der Technologien maßgeblich Ihre Forschung?
Donnay: Auf jeden Fall, es könnte ja sein, dass es Twitter, das gerade in finanziellen Problemen steckt, irgendwann nicht mehr gibt. Und viele Wissenschaftler machen derzeit Twitterforschung. Aber vielleicht gibt es dann einfach etwas Anderes und man kann natürlich auch grundsätzlich Kommunikationsphänomene auf sozialen Medien studieren, ohne diese auf eine Plattform spezi sch zu halten.
Jungherr: Man muss sich dieser Sache bewusst sein und eine Fragestellung konstruieren, die robust ist. Es darf am Ende nicht darum gehen, nur die politische Kommunikation auf Twitter zu analysieren. Aber das ist natürlich ein Prozess. Am Anfang beschäftigt man sich immer damit, wie man sein Phänomen oder seine Datenquelle unter Kontrolle bekommt. Dabei zu erwarten, dass man auch noch den Überblick über sozialwissenschaftliche Phänomene der letzten 100 Jahre hat und dann beides zu verknüpfen, ist viel verlangt. Das ist dann die Herausforderung für den zweiten Schritt sobald man Daten und Kommunikationsumgebung kennt.
Donnay: Der Spagat ist deshalb so interessant, weil man sich einerseits mit klassischen Fragen der sozialwissenschaftlichen Literatur beschäftigt und andererseits an aktuelle Forschung mit neuer Methodik, bzw. gezielter Methodenentwicklung anknüpft. Für mich ist ein Teil der Arbeit dann eben auch einfach interdisziplinäre Kooperation, denn wir verwenden zwar Statistik, aber auch Methoden aus der Informatik, zum Beispiel.
Dann sprechen wir nun noch ein bisschen spezifischer über den Fachbereich. Wie haben Sie sich denn bisher so eingelebt?
Jungherr: Der Einlebungsprozess ist auf jeden Fall noch im Gange, ist aber sehr spannend und stimulierend. Das Kollegium zeigt sehr starke Hilfsbereitschaft, um diesen großen Schritt zu meistern, und vor allem auch vorbildliche Geduld, wenn es bei einem ein bisschen länger dauert. Auch die Studierenden zeigen tolle methodische Bereitwilligkeit, sich auf neue Sachen einzulassen. Das gibt einem auch in der Lehre die Möglichkeit, Themen durchzunehmen, die unter anderen Umständen nicht machbar wären.
Donnay: Ich bin ja noch etwas frischer da, also der Prozess ist auf jeden Fall auch noch in vollem Gange. Bisher wurde ich sehr, sehr gut aufgenommen. Der Austausch mit den Kollegen ist sehr unkompliziert und gerade auch die anderen Methodiker sind mit offenen Armen auf uns beide zugekommen. In meiner aktuellen Vorlesung im SEDA (social economic data analysis) Studiengang, sind die Studenten super motiviert, international und vor allem interdisziplinär ausgebildet. Die Vorlesung steht übrigens auch anderen Master-Studierenden und Promovierenden aus dem Fachbereich offen und ich habe einige sehr interessierte Studierende aus unserem Fachbereich, die den Kurs als Wahlfach belegen.
Und was ist Ihnen besonders in der Lehre wichtig?
Jungherr: Es geht darum weiterzugeben, wie man mit modernen Technologien und Daten zur Beantwortung von neuen, gesellschaftlich bedeutsamen Fragen zurechtkommt. Der Bereich der politischen Kommunikation ist mir dabei am nächsten, aber auch die politische Einstellungsforschung und Wahlsoziologie. Ich möchte Konzepte und Probleme aus diesen Bereichen in Einführungsseminaren an meine Studierenden weitergeben und dann gemeinsam herausfinden, wie diese mit neuen und traditionellen Datentypen untersucht werden können. Ein kleines Problem in der reinen Methodenausbildung ist, dass man methodisch sehr hochgerüstet rauskommt, aber konzeptionell eher unterfundiert ist. Da sehe ich meinen Beitrag, indem ich einen Überblick über Konzepte und gleichzeitig moderne Messansätze biete. Die Hoffnung ist, dass beides ineinander spielt. Gerade wenn sich Studierende eigene Fragestellungen überlegen, stellt häufig der erste Schritt in die Datenaufbereitung oder das Programmieren eine Einstiegshürde dar. Diesen Einstieg möchte ich erleichtern und Selbstbewusstsein vermitteln um sich dann auch gegebenenfalls komplizierterer Methoden zu bedienen.
Donnay: Ich stimme der Herangehensweise und der gerade genannten Lücke vollkommen bei. Man kann definitiv sagen, dass die quantitative Sozialforschung und auch die zugehörige Lehre derzeit im Umbruch sind. Ich stehe dabei grundsätzlich der Art von Forschung sehr kritisch gegenüber, in der ein wichtiges sozialwissenschaftliches Thema nur sehr oberflächlich behandelt wird. Da müssen wir eine Brücke schlagen, sodass nicht nur die methodischen Grundlagen gelehrt, sondern dann auch sinnvoll substantiell angewendet, beziehungsweise Themen zeitgemäß bearbeitet werden. Es ist entscheidend, die neuen Daten und Ihre Stärken und Schwächen dabei wirklich zu verstehen: Das Prinzip garbage-in, garbage-out gilt einfach immer (lacht). Ich bin vielleicht eher auf der methodischen Seite und Andreas mehr auf der inhaltlichen Seite, aber wir arbeiten beide eben in beiden Gebieten und ergänzen uns dabei, denke ich, in der Lehre sehr gut.
Jungherr: Das Spannende an dem Lehrexperiment ist gerade, dass wir noch nicht wissen, was funktioniert. Wir wissen, wie man Informatikern das Programmieren beibringt, aber Dinge, die da trivial sind, müssen den Sozialwissenschaftlern von ganz vorne vermittelt werden. Die Frage ist also, wie man das verbinden kann. Wir wollen keine schlechteren Informatiker ausbilden, sondern Sozialwissenschaftler, die in der Lage sind, mit neuen Datenarten und in neuen Kontexten spannende quantitative Sozialforschung zu machen. Dafür bieten der Konstanzer Standort und unsere methodenbewussten Studierenden ausgezeichnete Bedingungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Ann Sophie Lauterbach.