2014/10/09 Andreas Jungherr

Die Rolle von Experimenten, Daten und vernetztem Lernen in den Kampagnen Barack Obamas

Jede politische Kampagne steht vor der gleichen Frage: Wie motiviere ich potentielle Wähler zur Wahl und wie gelingt mir dies mit Budgets weit unter denen vergleichbarer Kampagnen in der Produktwerbung? Die Präsidentschaftskampagnen Barack Obamas in 2008 und 2012 bieten deutschen Wahlkämpfern interessante Ansätze wie mit dieser Frage umgegangen werden kann.

Obamas Beispiel zeigt wie Kampagnen daran arbeiten, Kampagnenkontakte möglichst präzise auf Wählergruppen zu beschränken, die tatsächlich zur “richtigen” Wahl bewegt werden können; wie Kampagnen die Effektivität unterschiedlicher Kampagnenmittel im Hinblick auf ihre durchschnittlichen Mobilisierungschancen und –kosten testen; und wie Kampagnen ihre Erkenntnisse in einem breiten Netzwerk von politisch befreundeter Organisationen teilen und so die Grundlage für einen gemeinsamen Lernprozess legen.

Die Identifikation potentieller Wähler
Im Wahlkampf geht es für Kandidaten und Parteien darum, potentielle Wähler davon zu überzeugen zur Wahl zu gehen. Es geht nicht darum, Menschen mit abweichenden politischen Überzeugungen von eigenen Positionen zu überzeugen. Dieses Verständnis von Wahlkampf ist besonders in den USA verbreitet. Es führt dazu, dass Kampagnen sich auf potentielle Wähler zu konzentrieren versuchen, die ihrem soziodemografischen und ökonomisch Status und ihren weltanschaulichen Einstellungen nach eher den Unterstützern einer Partei zugerechnet werden können. Menschen, die nach diesen Variablen eher zu Unterstützern anderer Parteien zählen könnten werden in der Mobilisierungsarbeit bewusst ignoriert. Dadurch versuchen Kampagnen am Wahltag die Zahl der aus ihrer Sicht “richtigen” Wähler zu erhöhen.

Die Geschichte des Wahlkampfs in den USA ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts durch eine immer feingliedrigere Identifizierung potentieller Wählergruppen geprägt. In den siebziger Jahren klassifizierten Wahlkämpfer potentielle Wähler auf Basis ihrer Adressen. In den Neunzigern sprach Mark Penn, Chefstatistiker der Clintons, davon, potentielle Wähler durch ihr Konsumverhalten oder ihre Zugehörigkeit in gesellschaftlichen Kleingruppen” den berühmten Soccer-Moms” identifizieren zu können. Diese immer kleinteiligere Identifizierung potentieller Wähler hat ihren vorläufigen Höhepunkt in der datenbankgestützten Ansprache von Wählern mit Hilfe statistischer Modelle gefunden.

Die Obama-Kampagne nutzte in den Wahlkämpfen 2008 und 2012 unterschiedliche Datenbanken. Den Kern des Datenbestands wurde seit 2005 von der Demokratischen Partei in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Firmen entwickelt. Diese Datenbank umfasst Informationen über jeden amerikanischen Wahlberechtigten, die öffentlich in Wählerregistern amerikanischer Bundesstaaten verfügbar sind. In der Regel sind dies: Name, Alter, Geschlecht, Rassenzugehörigkeit und Adresse. Zusätzlich wurde dokumentiert, ob sich Wahlberechtigte für die Vorwahlen einer Partei registriert hatten. Ergänzend dokumentierte die Datenbank Kampagnenkontakte aus unterschiedlichen Wahlkämpfen. Wurde ein Wahlberechtiger zum Beispiel 2008 durch einen Freiwilligen angerufen und hatte auf die Frage nach seiner Wahlabsicht geantwortet so konnte die Obama-Kampagne 2012 auf diese Information zugreifen. Auf Basis dieser Informationen entwickelte die Kampagne zwei Rankingkennzahlen für alle Wahlberechtigten: die Wahrscheinlichkeit, an der Wahl teilzunehmen und die Wahrscheinlichkeit, Barack Obama zu wählen. Diese Datenbank mit Informationen über das zu erwartende Wahlverhalten wurde von der Obama-Kampagne mit verschiedenen kommerziell verfügbaren Datenbanken ergänzt, die personenbezogene Daten, zum Beispiel in Bezug auf Konsumverhalten oder Mediennutzung, enthielten. Die Obama-Kampagne versuchte so mit Hilfe von statistischen Modellen unter den Wahlberechtigten, über die sie keine politischen Informationen hatte, diejenigen zu identifizieren, die für sie interessant waren. Den Wahlberechtigten denen statistische Modelle auf dieser Datenbasis ein für die Kampagne vielversprechendes Ranking zugeschrieben hatten wurden dann durch die Kampagne kontaktiert. Dies geschah entweder durch personalisierte Postsendungen, Anrufe und Hausbesuche durch Freiwillige, die sie zur Wahlbeteiligung aufriefen.

Heißt dies nun, dass die Obama-Kampagne das Wahlverhalten aller Amerikaner kannte, tatsächlich nur mit potentiellen Wählern sprach und jeder der von ihnen Kontaktierten tatsächlich wählen ging? Natürlich nicht. Diese Selektion von Wahlberechtigten für den Kontakt durch die Kampagne basiert auf Wahrscheinlichkeiten. Wenn statistische Modelle einer Kampagne erlauben, die Zahl vergeblicher Kontakte zu reduzieren, dann heißt es nicht, dass ein Modell in der Lage wäre, menschliches Verhalten mit Sicherheit vorherzusagen. Praktisch heißt dies, die datenbankbasierte Ansprache führte für die Obama-Kampagne zu einer etwas kleineren Zahl vergeblicher Kontakte als die Selektion von Kontakten basierend auf älteren Verfahren. Die Kampagne konnte also ihre Zeit und Ressourcen auf potentiell interessante Ansprechpartner konzentrieren ohne jedoch Sicherheit über deren Verhalten oder politische Einstellungen zu haben. Dies scheint bei dem erheblichen finanziellen Aufwand vielleicht wie ein geringer Vorteil, vor dem Hintergrund von Wahlkämpfen, die immer häufiger durch knappe Siege in einzelnen Wahlkreisen entschieden werden erklärt sich jedoch die Bereitschaft politischer Kampagnen in jeden noch so kleinen Vorteil zu investieren.

Obamas Datenreichtum wurde in der deutschen Diskussion zwar immer wieder angesprochen aber auch sehr schnell als konsequenzlos für deutsche Wahlkämpfe eingeschätzt. Hierbei konzentrierte sich die Diskussion immer wieder auf die von Obama eingekauften Datensätze, nicht auf die durch Kampagnen der Demokraten über Jahre selbst erhobenen Datensätze. Es stimmt natürlich, das deutsche Datenschutzrecht macht den Einkauf von Datensätzen für Parteien unpraktikabel. Auf der anderen Seite hindert deutsche Parteien niemand daran, ihre Mitgliederbasis mit einer technischen Infrastruktur auszustatten über die sie Wählerkontakte in unterschiedlichen Kampagnen vor Ort datenschutzrechtlich konform dokumentieren kann. Um die Kampagnenführung in Deutschland zu präzisieren braucht es nicht Obamas komplizierte statistische Modelle, die einfache Dokumentation von Wählerkontakten würde Parteien schon deutlich in der Feinsteuerung ihrer Wahlkämpfe helfen.

Daten statt Expertenwissen
Zusätzlich zur datenbankbasierten Wähleransprache prüfte die Obama-Kampagne die Effektivität ihrer Kampagnenelemente in fortlaufenden quantitativen Evaluationen. Anstelle Ressourcen nach der Intuition einiger Experten einzusetzen, versuchte die Kampagne, Werkzeuge auf ihre Kosten und zu erwartenden Effekte zu testen. Besonders die Sammlung von Spenden und die Effektivität unterschiedlicher Arten der Wähleransprache wurden regelmäßig in Experimenten untersucht.

Am intensivsten testete die Obama-Kampagne das Sammeln von Spenden über das Internet. Die Kampagne verfügte über eine umfangreiche Liste von E-Mail Adressen von Nutzern, die sich auf der Kampagnenwebseite registriert hatten und aus anderen bereits bestehenden Verteilern. Diese Liste wurde regelmäßig durch die Kampagne angeschrieben. Die Kampagne untersuchte so, ob die Verwendung unterschiedlicher Betreffzeilen, Textbausteinen und Absender Effekte auf das von einer E-Mail generierte Spendenaufkommen hatten. Hierzu sendete die Kampagne E-Mails, in denen einzelne Elemente gezielt variiert wurden, an zufällige Ausschnitte ihrer E-Mail-Liste und verglich die daraufhin eingehenden Spenden mit Gruppen, denen andere E-Mail-Variationen zugeschickt worden waren.

Besonders intensiv experimentierte die Kampagne auch mit Beträgen, die sie in E-Mails und auf ihrer Webseite als Einstiegsspenden festlegten. Spendeten Adressaten des Aufrufs häufiger wenn der in der E-Mail vorgeschlagene Mindestbetrag bei $5 oder $10 lag? Durch solche Experimente konnte die Kampagne gezielt die Ansprache ihrer Unterstützer über E-Mails optimieren und damit die finanziellen Ressourcen der Kampagne steigern.

Auch die direkte Ansprache von Wählern durch Briefsendungen, Telefonanrufe und Hausbesuche wird in U.S.-Kampagnen regelmäßig im Hinblick auf ihr Mobilisierungspotential pro Kontakt getestet. Sogenannte Cost-per-Vote Analysen sollten lediglich als grobe Richtungswerte interpretiert werden, aber sie unterstützen Kampagnenplaner dabei, Ressourcen gezielt einzusetzen. Ähnliche Experimente zur Evaluation von Kampagnenwerkzeugen sind auch in Deutschland denkbar.

Lernen im Netzwerk
U.S.-Präsidentschaftskampagnen finden in regelmäßigen Zyklen alle vier Jahre statt. Das Verhalten von Menschen und die Effektivität von Kampagnenansprachearten ändern sich jedoch potentiell ständig. Mobilisierungsarten von Kampagnen mögen also in bestimmten Wahlkämpfen erfolgreich sein und in anderen versagen. Um möglichst aktuelle Erkenntnisse über die Effekte unterschiedlicher Ansprachearten auf unterschiedliche Gesellschaftsgruppen zu gewinnen, haben sich Kampagnen demokratischer Kandidaten und Berater befreundeter Organisationen, wie zum Beispiel Gewerkschaften oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, in informellen Netzwerken organisiert, um sich so über aktuelle Erkenntnisse auszutauschen und Freiwillige auch zwischen Präsidentschaftswahlen in unterschiedlichen Mobilisierungstaktiken zu schulen. Die Veränderungen in der Wahlkampfdurchführung und -organisation der Obama-Kampagne gehen also weit über einen spezifischen Kandidaten oder die Wahlkampfzyklen 2008 und 2012 hinaus. Sie sind fest in der Kampagnenkultur der demokratischen Partei verankert.

Worin besteht also die tatsächliche Lektion von Obamas Kampagnenerfolge? Das Wissen über die Mechanismen, Effekte und Kosten einzelner Kampagnenwerkzeuge lässt sich am besten in einem fortwährenden Lern- und Evaluationsprozess innerhalb eines Netzwerkes von Organisationen mit geteilten Zielen entwickeln. Hierfür sind die Kontextbedingungen amerikanischer Kampagnen, große Budgets, umfangreiche Datenbanken und ein schwaches Datenschutzrecht, zwar hilfreich aber nicht notwendig. Tatsächlich braucht es allerdings den politischen Willen innerhalb einer Organisation. Jene politische Organisation, der es als ersten gelingt in Deutschland einen vergleichbaren Lernprozess zu entwickeln wird für die kommenden Wahlkampfzyklen einen klaren Vorteil in der Planung und Durchführung politischer Kampagnen haben, da sie in der Lage sein wird ihre Zeit und Ressourcen effektiver auf für die Kampagne interessante Wählergruppen zu konzentrieren.

Ein glücklicher Umstand für deutsche Kampagnenmacher ist, dass die Obama-Kampagnen 2008 und 2012 wohl zu den am besten dokumentierten Wahlkampagnen der jüngeren Vergangenheit gehören und damit mehr als genug Ansatzpunkte bestehen, um die Entscheidungen der Kampagne nachzuvollziehen und gegebenenfalls für den eigenen Kampagnenkontext zu adaptieren. Anbei einige hilfreiche Quellen:

Organisationskultur und Nutzung von Experimenten:

  • Mobilisierung:

  • Technologische Innovationen:

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